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Les trains du col de Tende. Volume 2 : 1929 - 1974

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Banaudo, José; Braun, Michel; de Santos, Gérard (2020): Les Trains du Col de Tende Vol. 2 1929-1974 Breil, ISBN 9 782956 2 9564942 1 8, DIN A4, 415 Seiten, 930 Abbildungen größtenteils schwarzweiß inkl. ein paar sehr schöner Aquarelle, 79€ Das Buch wird herausgegeben vom Ecomusée in Breil (http://www.ecomusee-breil.fr/), aber die Homepage ist (derzeit?) nicht erreichbar. In Deutschland ist es verfügbar über das Fachbuchzentrum Stiletto in München (https://bahnbuch.de/). Auch der Band 1 über die Jahre der Bauzeit von 1858-1928 ist verfügbar; der Band 3 (1975-) ist für 2022/23 angekündigt. Die Tenda-Bahn gehört zu den spektakulärsten Alpenüberquerungen und war/ist zum großen Teil nicht elektrifiziert. Im Gegensatz zu den großen Transitstrecken in den deutschsprachigen Ländern Österreich bzw. Schweiz ist sie in Deutschland eher wenig bekannt. Sie führt vom italienischen Turin über Cuneo, den Tenda-Pass (Staatsgrenze F/I) nach Breil-sur-Roya (F), wo sich die Strecke teilt in den weiterhin französischen Zweig nach Nizza zur Côte d’Azur und den nun wieder italienischen Zweig nach Ventimiglia an die Rivera. Als die Strecke im 19. Jahrhundert geplant wurde, gehörte die Region noch zu Sardinien. Erst 1860 wurde der südwestliche Teil um die Grafschaft Nizza an Frankreich abgegeben, aber das gegenseitige Misstrauen bewirkte, dass der Bau dieser Grenzlinie zunächst ins Stocken geriet. Erst 70 Jahre später, im Oktober 1928 wurde die Strecke schließlich durchgehend eröffnet. Der Band 2 beginnt also mit dem einzigen goldenen Jahrzehnt der Tenda-Bahn, den 1930er-Jahren. Täglich verkehren nun zwei Expresszüge aus der Schweiz über die Strecke, einer an die Côte, der andere an die Riviera. Der Zug nach Nizza führte anfangs auch einen Schlafwagen aus Berlin mit – 30 Stunden Fahrzeit. Daneben gibt es den regionalen Omnibus-- und Güterverkehr, aber auch ein paar Direktzüge Turin – Nizza bzw. Ventimiglia. Ab 1932 elektrifizieren die Italiener ihre Strecke von Cuneo bis Ventimiglia mit Drehstrom. Aber die französischen Befürchtungen sollten sich doch noch bewahrheiten: Im Juni 1940 wird die Strecke nach der Kriegserklärung des faschistischen Italiens durch Brückensprengungen unterbrochen und das Gebiet kann durch die französische Armee zunächst verteidigt werden, wird aber kurz darauf Italien zugesprochen. Noch im selben Jahr wird die Strecke wieder restauriert. Der öffentliche Verkehr beschränkt sich nun auf Regionalzüge. Nach der Kriegserklärung Italiens an Hitler-Deutschland und Absetzung des Duce werden die Gebiete 1943 von der deutschen Wehrmacht besetzt und der Militärverkehr dominiert. Im Herbst 1944 wird das Roya-Tal mit den Befestigungen am Tenda-Pass von den Deutschen verbissen gegen die vorrückenden Amerikaner verteidigt; dabei werden wieder viele Brücken und Tunnel zerstört. Der Wiederaufbau begann zwar bereits 1947 von italienischer und französischer Seite, aber zum Lückenschluss im französischen Abschnitt zwischen Tenda-Pass und Breil fand sich Frankreich erst 1970 bereit − also 13 Jahre nach den Römischen Verträgen! 1974 wurde die Strecke dann wieder durchgehend eröffnet, konnte aber nicht mehr an die glanzvollen 30er-Jahre anschließen. Durchgehende Züge aus der Schweiz gab es allenfalls noch in Form gelegentlicher Sonderzüge von Reiseveranstaltern, aber der regionale Personenverkehr entwickelte sich doch noch auf ein erfreuliches Maß. 2013 wurden bereits erste Stilllegungsüberlegungen laut. Die konnten durch Bürgerinitiativen zwar abgewendet werden, aber der Verkehr wurde auf zwei durchgehende Alibizüge reduziert. Die SNCF führte auf ihrem Abschnitt zur touristischen Belebung den Train des Merveilles ein. Nach einem verheerenden Unwetter 2020 war der mittlere Streckenabschnitt wieder erneut gefährdet. – Damit muss man hier rechnen und auch die benachbarte Meterspurbahn von Nizza nach Digne erlebt alle paar Jahre existenzielle Zerstörungen. Inzwischen zeigt aber in Frankreich ein Umdenkprozess politische Wirkung und der Conseil Régional hat bisher immer wieder den Neuaufbau beider Bahnen gefördert. Seit Fahrplanwechsel 2021/22 fahren also wieder zwei durchgehende Triebwagen Ventimiglia – Cuneo und auf dem französischen Abschnitt ebenfalls. Das Buch schließt eine Lücke, denn außer dem deutschsprachigen (!) „Die Tenda-Linie, Wiederaufbau einer Alpenbahn“ von Rudolf Butz (1984) gab es erstaunlicherweise bisher nichts zu der Strecke. Die Autoren sind regional vernetzt und konnten dadurch eine große Zahl lokaler Quellen erschließen. So imponiert das Buch nicht nur durch eine Vielzahl historischer Fotos, sondern auch mit Fahrplänen (Kursbuchauszüge, Bildfahrpläne, Laufpläne) und lebendigen Schilderungen von Zeitzeugen über das Betriebsgeschehen. Auch die Traktionsmittel kommen nicht zu kurz, insbes. die französischen ausgehend von Nizza. So wünscht man sich ein Eisenbahnbuch! Das Eisenbahnmuseum Breil ist auch der richtige Herausgeber dafür, aber offenbar hat man die lokale Expertise der Editions Cabri nicht genutzt. So lässt das Layout gelegentlich etwas Professionalität vermissen: Weit über 900 Abbildungen − das freut natürlich den Heimathistoriker, aber weniger ist manchmal mehr. Von Motiven, für die es keine Fotobelege gab, hat man von dem belgischen Eisenbahnmaler Olivier Geerinck Aquarelle anfertigen lassen – eine schöne Idee, war sicher nicht billig. Manche Faksimiles werden unnötig groß seitenfüllend dargestellt, während andere Fahrpläne kaum lesbar sind. Man braucht schon eine Lupe, um die Fahrzeit des Schlafwagens von Berlin nach Nizza zu rekonstruieren. Auch die Aquarelle hätte ich mir manchmal größer gewünscht. In einigen Fällen (z. Bsp. S. 29 und die vielen Lokportraits) erscheinen die Farben drucktechnisch überzogen. Letztendlich sind das aber verzeihliche Einzelfehler; was bleibt ist der imposante Gesamteindruck dieser Dokumentation, die damit zum Goldstandard über die Tenda-Bahn wird. Michael Heinzel, Bonn

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